Ein Detektiv mit Magendrücken von Christian Klinger
Ein Detektiv mit Magendrücken
von Christian Klinger
Teil 1
Mitte Mai.
Es herrschte wieder einmal Auftragsflaute. Offensichtlich kümmerten sich die Menschen jetzt weniger um ihre untreuen Ehepartner, die einzige Sorge galt der optimalen Figur für die anstehende Saison im Freibad.
Marco Martin lebte gegen diesen Trend. Den Nachmittag hatte er auf der Couch verbracht und lustlos durch die Kanäle gezappt. Dazu das Menü des beschäftigungslosen Privatermittlers: Cola, Chips und Manner-Schnitten.
Jetzt plagte ihn ein böses Magendrücken. Im Badezimmer der nächste Schock, als er den Apothekenschrank öffnete. Die Iberogasttropfen waren aufgebraucht und die Alka Seltzer eingetrocknet und so hart, dass sie sich nicht mehr auflösten.
Das Zwicken wurde ärger, sobald die Aussicht auf schnelle Hilfe geschwunden war. Also blieb ihm nur, sich ins Auto zu stürzen, um vor 18:00 Uhr die Team-Santé Germania Apotheke in der Hütteldorferstraße zu erreichen. Als er im Wohnzimmer den Fernseher ausschaltete, schoben sich bei einer dieser exhibitionistischen Reality-Shows einige Männer und Frauen vor die Kamera. Der Breitbildfernseher hatte Mühe, sie alle zu fassen.
Knapp vor Geschäftsschluss schlüpfte er durch das rote Portal der dem Meiselmarkt gegenüberliegenden Apotheke. Bei einer dunkelhaarigen pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten gab er sein Begehr bekannt.
Die Verkäuferin brachte die rezeptfreie Arznei und tippte den zu zahlenden Betrag in die Kasse. „Bar oder mit Karte?", fragte sie.
Marco Martin führte seine Hand zur Gesäßtasche und stellte fest, dass er seine Börse wegen des übereilten Aufbruchs daheim vergessen hatte. Einzig eine zerknitterte Visitenkarte hatte er eingesteckt. Statt des Geldes legte er das rechteckige Papierstück auf die Verkaufstheke.
„Vielleicht könnten Sie eine Ausnahme machen und ich bringe Ihnen morgen das Geld vorbei." Die Angestellte runzelte ihre Stirn. „Ich fürchte ...", begann sie, als Martin versuchte zu pokern und sagte: „Ich bin mit dem Herrn Magister bekannt. Wir kennen uns vom Golfplatz."
In der Zwischenzeit hatte sich ein Mann, Haare und Bart auf kurze Stoppel gestutzt, hinter der Frau aufgebaut und nahm die Karte an sich. Martin schwante Übles, als er das rote Apotheker-Dienstabzeichen mit der gewundenen Schlage am Revers des weißen Arbeitsmantels sah und die Frau sagte: „Das können Sie dem Herrn Magister am besten selbst erklären. Als alter Bekannter." Sie legte den Kopf schief und machte einen Schmollmund. „Er hasst Golf."
„Sie sind Privatdetektiv?", fragte der Apotheker.
Martin blies Luft aus und nickte. „Ich kann das erklären."
„Kommen Sie bitte mit."
Der Apotheker öffnete eine Tür und führte Martin in ein Büro, wo er ihm einen Platz vor dem Schreibtisch anbot.
Martin hob beschwörend die Hände und sagte zu seiner Rechtfertigung. „Hören Sie, es tut mir leid. Das ist sonst nicht so meine Art, aber wegen der Tropfen brauchen Sie doch jetzt nicht die Polizei einzuschalten."
Der Apotheker hatte sich gesetzt und winkte ab. „Vergessen Sie die Tropfen, um die geht es nicht. Die schenke ich Ihnen. Und die Polizei will ich eben nicht einschalten. Sie kommen mir wie gerufen."
„Sie meinen ein Auftrag?" Martin öffnete sofort das Fläschchen und träufelte ein paar Tropfen direkt auf seine Zunge.
„Jawohl, Herr Martin. Ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich heiße Wolf Fisch." Er beugte sich vor und reichte Martin die Hand, der sie ergriff und schüttelte. Nach einer Pause fragte er: „Wie Wolf Haas?"
Er erntete einen unverständigen Blick für die Frage. „Nein, weil der heißt ja Haas. Ich heiße Fisch, wie das Tier aus Meer, Seen oder Flüssen."
„Ich meinte den Vorn...", setzte Martin an, schluckte aber den Rest runter. „Worum geht es?"
Der Apotheker strich sich über die hohe Stirn. „Also, wir haben da …, wir hatten, also, es gab …“, stammelte er. Jetzt war es Martin, dessen Ton bestimmter wurde.
„Sie meinen, es gab Abgänge bei bestimmten Arzneien?“
Mag. Fisch nickte, worauf Martin sich bestärkt fühlte, weiterzusprechen: „Ich vermute, es war Methadon, das gestohlen wurde, und sonstige Mittel wie Fentanyl, Oxycodon, Tapentadol oder Tramadol, starke Präparate, die am Schwarzmarkt gehandelt werden.“
Der Pharmazeut hob anerkennend die Augenbraue, ehe er sagte: „Ich stelle fest, mit Ihnen habe ich hier einen Feinspitz gefunden, ich hoffe, Ihre Kenntnis ist rein beruflicher Natur. Aber das ist es nicht. Die, wie Sie sagten, Abgänge waren bei unseren Kunden zu verzeichnen.“
„Das müssen Sie mir näher darstellen.“
Darauf begann der Apotheker zu erklären, dass es in letzter Zeit, wenn das Geschäft voll mit Kunden war, immer zu irgendwelchen Tumulten gekommen war, und danach bei einem Kunden das eben ausgehändigte Medikament gefehlt hatte.
Martin atmete durch. „Wie soll ich mir das vorstellen?“
„Also das erste Mal ist jetzt 14 Tage her. Wir haben dem damals keine Bedeutung beigemessen. Wir haben viele, ältere Kundschaften. Da kommt es schon einmal vor, dass eine davon vergisst, wo sie ihr Medikament eingepackt oder daheim eingeräumt hat.“
Martin bestätigte diesen Schluss. Das war auch sein erster Gedanke gewesen. „Und warum sollte sich das nicht so abgespielt haben?“